Der Tag war müde geworden und die Nacht legte sich wie ein dunkles Bettbuch darüber. Noch war ein kleiner Rest Tageslicht geblieben, aber auch ihn würde die Finsternis in Kürze überdeckt haben. Straßenlaternen oder andere beleuchtete Wohnhäuser gab es hier nicht. Stattdessen nur jede Menge Bäume.

Roy Haspent sah sich bereits zuhause, seine Frau Ireen begrüßen und Zeit mit seinen Kinder George und Roy Jr. verbringen. Schon die ganze Woche freute er sich darauf, hatte jedoch nie die Zeit dafür gefunden. In der Firma war derzeit die Hölle los und Roy war einer derjenigen, die das Schlamassel ausbügeln mussten. Aber an die Arbeit wollte er jetzt nicht mehr denken. Um sich abzulenken, warf er einen Blick in den Rückspiegel. Nur wenige Autos waren heute unterwegs. Wahrscheinlich befand sich alle Welt bereits bei ihren Familien.

Er verspürte Langeweile und fummelte ungeschickt am Regler seines Uralt-Autoradios herum. Ein leises Rauschen ertönte. Kurz darauf folgte die Stimme einer Nachrichtensprecherin, die über die neusten Krisenregionen der Welt berichtete. Er drehte weiter am Regler und vernahm wenig später den monotonen Bass eines dieser neumodischen Lieder. Nein, auch damit konnte er nichts anfangen. Roy verstand nicht einmal, was die Jugend an diesem dumpfen Gestampfe fand. Aber hatte er, als er noch grün hinter den Ohren war, nicht ebenfalls Musik gehört, mit der seine Eltern nichts anfangen konnten?

Das Rauschen ertönte wieder, dann mischte sich ein Lied darunter, das er sehr gut kannte.

…just hold me tight and tell me you`ll miss me
While I`m alone and blue as can be
Dream a little dream of me…

In seinem sonst so ernsten Gesicht zeigte sich ein kleines Lächeln. An dem Abend als er mit Ireen zum See gefahren war und sie gerade dabei gewesen waren, den erregten Körper des anderen zu erforschen, lief dieses Lied im Autoradio. Schon in ihrer ersten gemeinsamen Nacht war es ein Oldie gewesen, aber dies hatte Roy nie gestört. Er hatte den Song immer gemocht, und seit jenem Abend verband er eine sehr persönliche Erinnerung damit.

Die Melodie schien überall in seinem Kopf zu sein und er begann sie mitzusummen. Wenig später sang er leise den Text. Seine Gedanken machten einen kurzen Ausflug in die Vergangenheit und verstärkten sein Lächeln..

But in your dreams, whatever they`ll be
Dream a little dream of me

Das Lied endete und für einen kurzen Moment herrschte Stille. Roy atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf das Autofahren. Erneut warf er einen Blick in seinen Rückspiegel und bemerkte die Scheinwerfer eines sich nähernden Autos.

Er schaute wieder nach vorn, auf den Lastwagen, dem er schon seit einiger Zeit hinterher schlich. Das Nummernschild war vollkommen verdreckt und nur mit Mühe konnte er die Zahlen darauf erkennen. Er lenkte den Wagen etwas nach links und schaute nach einer Möglichkeit zum Überholen. Sofort sah er grelle Lichter eines näherkommenden Fahrzeuges und scherte wieder in seiner Spur ein. So eilig hatte er es mit dem Überholen ohnehin nicht.

In wenigen Tagen würde Roy Jr.’s zwölfter Geburtstag sein und Ireen und er hatte noch nicht die geringste Ahnung was sie ihm schenken sollten. Ein Fahrrad besaß er bereits und für Lego-Spielzeug hielt Roy ihn zu alt. Vielleicht ein neues Videospiel für seine Spielkonsole? Aber selbst da war er sich nicht sicher. Mit seinen Anfang Fünfzig war Roy einfach zu alt, um noch zu wissen, was gerade angesagt war und wollte auch nicht den peinlichen Fehler begehen, seinem Sohn etwas zu schenken, was er sowieso nie benutzen würde. Kurz dachte er darüber nach, seinen alten Kumpel Lyndon um Rat zu bitten. Roy Jr. und sein Lyndons Sohn Vincent waren im selben Alter und verstanden sich recht gut. Bestimmt würde Lyndon ihm weiterhelfen können.

Plötzlich erschienen helle Lichter im Rückspiegel und Roy wurde aus seinen Gedanken auf. Er schaute in den Spiegel, wandte seine Augen aber sofort wieder ab. Der Fahrer im Wagen hinter ihm fuhr mit Abblendlicht oder diesen fiesen Xenonleuchten. Die grellen Scheinwerfer blendeten ihn so stark, dass er für einige Sekunden Schwierigkeiten hatte, den Lastwagen im Auge zu behalten. Sein Wagen begann leichte Schlängellinien zu fahren und für einen Moment war Roy überzeugt, dass es gleich zu einem Unfall kommen würde. Seine Nerven waren angespannt und seine Haltung verkrampft. Dann blendete der Fahrer hinter ihm das Licht ab.

„Na endlich“, knurrte er und warf dem hinteren Auto einen weiteren Blick zu. Alles, was er sah, war ein dunkler Wagen. Es war ihm nicht einmal möglich, herauszufinden, ob eine Frau oder ein Mann am Steuer saß. Geschweige denn, was für eine Automarke es überhaupt war.

Er lenkte sein Auto nach links und suchte ein weiteres Mal nach einer Überholmöglichkeit. Wieder konnte er die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos sehen und fuhr in seine alte Position zurück. Im Radio lief ein alter Queen-Klassiker, aber dies bemerkte er nur nebenbei. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt im Moment dem Verkehr vor und hinter ihm.

Der dunkle Wagen hinter ihm fuhr mittlerweile so dicht auf, dass zwischen ihren beiden Fahrzeugen höchstens ein Meter Abstand war. Roy kam sich eingeengt und bedroht vor. Wenn er jetzt plötzlich eine Vollbremsung machen müsste, würde das andere Auto ein Problem haben.

Trotz der Musik aus dem Radio hörte er das Motorröhren des anderen Wagens überdeutlich. Es klang brutal und arrogant zugleich. Roy musste kein Mechaniker sein, um zu wissen, dass solch ein Röhren in der Regel mit einem besonders starken Motor einherging. In der Regel wurden solche Wagen auch nur von einer ganz bestimmten Sorte Mensch gefahren. Keine besonders rosigen Aussichten.

Roy verzog die Miene. Er mochte es nicht, wenn Leute zu dicht auf ihren Vordermann auffuhren. Für einen Augenblick überlegte er, den anderen Fahrer zu erschrecken und einmal kurz das Bremspedal anzutippen. Aber schnell verwarf Roy den Gedanken wieder. Er wusste, wie leicht sich daraus ein Auffahrunfall entwickeln konnte und die Schuldfrage war dann nicht immer leicht zu klären.

Noch immer saß er völlig verkrampft hinter dem Lenkrad. Zwar verspürte der Familienvater keine Angst, trotzdem verunsicherte ihn die Situation. Roy wusste, dass Nervosität im Moment alles andere als hilfreich war und versuchte, sich zu beruhigen. Zuerst warf er einen Blick auf die Tachoanzeige und überprüfte anschließend die grüne Leuchtschrift der Uhr.

„Kurz nach acht“, murmelte er. Seit fast einer halben Stunde war er nun schon unterwegs und wenn er dem Lastwagen noch lange hinterschlich, würde noch eine weitere halbe Stunde vergehen, bis er endlich bei Ireen und den Kindern sein würde.

Der Wagen hinter ihm blendete mit seinen Lichtern kurz auf und gab Roy zu verstehen, dass er endlich den Lastwagen überholen sollte. Auf der linken Straßenseite bemerkte er ein Hinweisschild in

und spielte kurz mit dem Gedanken, dort abzubiegen. Aber dies würde ihn auch nicht schneller ans Ziel bringen. Der Abzweig führte durch ein kleines Nest namens Gatesville und war mehr als nur ein Umweg. Vorsichtig lenkte er das Auto wieder nach links und lugte am Lastwagen vorbei.

Auch jetzt sah er wieder die Scheinwerfer eines sich nähernden Autos. Doch diesmal schienen sie weit genug entfernt zu sein. Roy betätigte den Blinker und setzte zum Überholen an.

Zwar trat er das Gaspedal bis zum Boden durch, spürte jedoch, dass das Auto nicht schnell genug beschleunigte. Immerhin war dies eine Familienkutsche und kein Sportwagen. Die immer näher kommenden Scheinwerfer lösten in ihm ein unangenehmes Panikgefühl aus.

Du schaffst es nicht! Du schaffst es nicht!

Der Motor brüllte. Aber wenigstens begriff das Auto langsam, was im Moment von ihm gefordert wurde. Die Geschwindigkeit nahm spürbar zu, aber die Scheinwerfer des anderen Wagen kamen trotzdem sehr schnell näher. Der Fahrer versuchte, mit der Lichthupe auf sich aufmerksam zu machen. Als wenn Roy den anderen Wagen nicht längst bemerkt hätte. Unbewusst hielt er sogar den Atem an. Angstschweiß bedeckte seine Stirn. Seine Hände umfassten das Lenkrad, als wäre es ein letzter Rettungsanker.

Er riskierte einen kurzen Blick nach rechts. Das Fahrerhaus des Lastwagens war nur noch wenige Zentimeter vor ihm. Gleich hab ich es geschafft, schoss es ihm durch den Kopf. Sein rechter Fuß trat das Gaspedal noch immer durch. Gäbe es kein Bodenblech, hätte das Pedal wahrscheinlich längst den Asphalt berührt.

Die Scheinwerfer des anderen Wagens flackerten nun abwechselnd in einem grellen und noch grelleren Licht. Zwischen den beiden Fahrzeugen war nur noch ein Abstand von vielleicht dreißig Metern. Roy vernahm das Kreischen einer Hupe.

„Ist ja gut, ich sehe es doch selbst“, fluchte er. Sein Rücken war schweißnass, so dass sein Hemd an der Haut klebte. Sein Puls raste. Erneut schaute er zum Lastwagen herüber. Das Kopfende des Trucks wurde gerade vom Heck seines Wagens überholt. Nur noch wenige Sekunden, dann würde der Platz ausreichen.

Du schaffst es nicht. Du schaffst es nicht, rief die Stimme in seinem Kopf. Obwohl er wusste, dass es wenig Sinn hatte, drückte er den Fuß noch fester auf das Gaspedal. Das Brüllen des Motors hatte sich in ein übermäßiges Dröhnen verwandelt, aber das registrierte Roy gar nicht.

Du schaffst es nicht. Du schaffst es nicht.

Roy hätte am liebsten geschrieen. Wie hatte er nur so dumm sein können, anzunehmen, dass der Abstand groß genug sein würde? Jetzt musste er diesen Irrtum vielleicht mit seinem Leben bezahlen. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie mit voller Wucht gegen den anderen Wagen prallte. Wenn sich sein Auto nicht überschlug, würde er durch den Aufprall von der Straße geschleudert werden. Entweder erwischte er den Lastwagen oder knallte gegen einen Baum. Die Chance, so etwas zu überleben, lag so ziemlich bei Null.

Verzweifelt schaute er nach rechts. Der Lastwagen lag endlich weit genug hinter ihm. Sofort riss Roy das Lenkrad herum, befürchtete aber, dass es trotzdem zu spät sein würde. In seiner Angst kniff er die Augen zusammen, doch der erwartete Knall blieb aus. Hätte Roy sein Fenster heruntergekurbelt, hätte er einen kalten Luftzug gespürt. Doch auch bei geschlossener Scheibe vernahm er das wütende Hupen des anderen Wagens.

Verwirrt öffnete er die Augen und starrte aus dem Fenster. Er sah, wie die Bäume vom Straßenrand auf ihn zurasten und riss das Lenkrad erneut herum. Diesmal allerdings in die andere Richtung.

Noch immer konnte er nicht fassen, was eben passiert war. Oder was nicht passiert war. Jede einzelne Körperfaser hatte sich auf eine Kollision eingestellt. Roy konnte sich nicht erinnern, jemals so große Angst empfunden zu haben.

Sein Wagen geriet ins Schleudern und eine Sekunde lang befürchtete er, vollständig die Kontrolle darüber zu verlieren. Irgendwie gelang es ihm allerdings, den Wagen nicht gegen einen Baum zu steuern. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er immer noch mit dem Fuß auf dem Gaspedal stand und zog ihn erschrocken zurück. Das Brüllen des Motors nahm ab und Roy fühlte, wie sich gleichzeitig auch seine Nervosität verringerte.

Seine Hände waren feucht und zitterten, aber das war ihm egal. Ebenso das Herzrasen. Erschöpft wischte er sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, seine Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Wenn er heil an seinem Ziel ankommen wollte, durfte er nicht noch einmal so leichtsinnig sein.

Er beobachtete den kleiner werdenden Lastwagen im Rückspiegel und überlegte, ob er seiner Frau von dem Vorfall berichten sollte. Sicher würde sie sich dann große Sorgen machen. Mein Mann, der Irre, dachte sie dann bestimmt. Mein Mann, der andere Leute fast ins Grab bringt. Nein, so wollte er in ihren Augen nicht dastehen. Das Beste war, wenn sie nichts davon erfuhr. Bei den Gedanken an seine Frau fühlte er sich allerdings gleich viel besser. Schon bald würde er sie und seine Söhne in die Arme schließen können.

Roy bemerkte Lichter in seinem linken Außenspiegel und sah, wie das dunkle Auto zum Überholen des Lastwagens ansetzte. Trotz der Entfernung war das Motorröhren unverkennbar. Roy verzog das Gesicht und richtete seinen Blick wieder nach vorn.

Als er dort jedoch ein entgegen kommendes Fahrzeug sah, schaute er unwillkürlich in den Rückspiegel und vergewisserte sich, dass der schwarze Wagen wieder auf seine Spur gewechselt war. Aber darum musste sich Roy nicht sorgen. Es war alles in bester Ordnung. Zu denken gab ihm nur, dass der Abstand zwischen dem dunklen und seinem Wagen sehr schnell schrumpfte.

Die grellen Scheinwerfer wirkten in seinem Rückspiegel gefährlich nah. Roy drückte das Gaspedal hinab und hoffte so, den Abstand vergrößern zu können. Das dunkle Auto ließ sich auf solche Spiele jedoch nicht ein und beschleunigte ebenfalls. Wieder versuchte Roy herauszufinden, wer am Steuer des Wagens saß, doch auch diesmal hatte er damit keinen Erfolg. Die Tachonadel kletterte weiter gen Norden und auch der Lärmpegel des Motors stieg an.

Der dunkle Wagen hing an ihm wie eine Klette. Roy wurde nun doch unruhiger. Genauso wie vorhin, als er das Auto wenige Meter hinter sich bemerkt hatte. Er verstand nicht, was der andere Fahrer von ihm wollte. Es kamen nur sehr wenige Autos entgegen und eine Möglichkeit zum Überholen gab es sicherlich auch. Roy hoffte, dass der andere Fahrer das ebenfalls bald einsah und ihn in Ruhe ließ.

Er vermied es absichtlich, in den Spiegel zu schauen und blickte stattdessen nach vorn. Egal was der dunkle Wagen versuchte, Roy würde nicht darauf eingehen. Zu frisch war die Erinnerung an das letzte Mal. Fast hätte er einen Unfall gebaut, weil er sich vom Fahrer des dunklen Wagens provoziert gefühlt hatte. So etwas würde bestimmt nicht noch mal passieren. Roy fuhr die vorgeschriebene Geschwindigkeit. Wenn der andere Wagen schneller fahren wollte, konnte er das gern tun.

Roy überlegte, wer am Steuer des anderen Autos sitzen könnte. Vielleicht ein angetrunkener Punk, vielleicht ein bekiffter Teenager. Möglicherweise saß in dem Wagen aber auch irgendein Geistesgestörter, dem es Spaß machte, seine Mitmenschen zu ärgern.

Fünf Minuten lang hielt Roy es mit dem Verfolger im Nacken aus. Dann half jeder gute Vorsatz nicht mehr und fluchte leise. Irgendwie musste er diesen Rowdy doch abschütteln können. Vielleicht half es, wenn er den Wagen weiter beschleunigte. Aber wahrscheinlich war das genau das, was der Verrückte von ihm wollte. Außerdem war Roys Familienkutsche kein Rennwagen.

Am besten war es wohl, den nervigen Verfolger irgendwie abzuschütteln. Wenn er auf eine Landstraße abbog, würde er ihm bestimmt nicht folgen. Leute wie er brauchten Strecken, auf denen sie rasen konnten, da war sich Roy ziemlich sicher.

Natürlich war das Glück nicht sofort auf seiner Seite. Ganz gleich, wie aufmerksam er den Straßenrand absuchte, er sah nirgendwo einen Abzweig. Selbst ein Feldweg wäre ihm recht gewesen, aber nicht einmal das war nicht der Fall.

Ein weiteres Auto kam ihm entgegengefahren, verschwand jedoch gleich darauf wieder in der Dunkelheit. Danach waren sie wieder allein auf der Straße. Als er in den Außenspiegel sah, blendete der Wagen hinter ihm auf. Roy kniff die Augen zusammen und fluchte. Bei so jemandem ruhig zu bleiben, war wirklich keine leichte Aufgabe.

Rechts am Straßenrand tauchte das Hinweisschild für Carrington auf und schenkte ihm wieder Hoffnung. Nur noch drei Meilen. Außerdem würde gleich ein Abzweig auf eine wenig befahrene Landstraße folgen. Ein Lächeln erschien in seinem Gesicht.

„Nicht mehr lange“, flüsterte er seinem Hintermann zu. „Gleich wirst du dir jemand Anderes suchen müssen, Arschloch.“

Die Abfahrt kam näher und Roy überlegte, ob er seinen Blinker benutzen sollte. Sicherer wäre es bestimmt. Dann wüsste sein Verfolger, dass er keine Lust mehr auf dieses dämliche Spiel hatte und konnte mehr Abstand halten. Anderseits konnte ihm der andere Fahrer dann einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn er jedoch ohne Vorwarnung bremste und abbog, riskierte er, dass ihm das dunkle Auto auffuhr. Auf diese Weise würde der Verrückte vielleicht doch bekommen, was er wollte. Diese Genugtuung wollte Roy ihm keinesfalls bereiten. Zögern betätigte er den Blinker und schaute in den Rückspiegel.

„Was wirst du jetzt tun, Idiot?“, rief er. Als ob der andere Fahrer seine Worte verstanden hatte, blendete er ab und fiel zurück. Roy konnte es kaum fassen. Er spürte süße Erleichterung. Sein Herz schlug gleich sehr viel ruhiger.

„Gleich ist es vorbei“, murmelte er und steuerte den Wagen nach links. Das andere Auto machte nach wie vor keine Anstalten, ihm zu folgen. Trotzdem störte Roy etwas. Täuschte er sich, oder wurde der andere Wagen ebenfalls langsamer? Zweifelnd schaute er in den Spiegel und konzentrierte sich dann wieder auf die Landstraße, in die er gerade einbog.

Mittlerweile war es stockdunkel. Lediglich der sichelförmige Mond und seine Scheinwerfer wiesen Roy den Weg durch die Finsternis. Links und rechts von der Straße befanden sich knorrige Bäume, durch die der Mond ein unheimliches Gesicht bekam. Roy kümmerte es trotzdem kaum. Er hatte heute schon genug Angst verspürt und damit sein Pensum wohl mehr als aufgebraucht.

Im selben Moment geschah jedoch etwas, was ihm sofort eine Gänsehaut bescherte. Sein Lächeln gefror und seine Augen konnten nicht glauben, was sie im linken Außenspiegel entdeckten. Das grelle Licht zweier Scheinwerfer. Wie ein Paar dämonischer Augen schlichen sie sich heran. Roy wusste sofort, von wem sie stammten. Ein eisiger Schauer erfasste seinen Körper.

„Verdammt!“, fluchte er. „Was willst du von mir?“

Roy überlegte, was er nun tun sollte. Hier schneller als 50 Meilen die Stunde zu fahren, wäre glatter Wahnsinn. Bei dem Versuch, den dunklen Wagen abzuhängen, konnte er leicht gegen einen Baum prallen. Von den Tieren aus dem nahebefindlichen Waldes ganz zu schweigen.

Aber er konnte sich doch nicht schon wieder von dem Verrückten schikanieren lassen. Wenn dies ein Spiel war, gefielen ihm die Spielregeln ganz und gar nicht. Außerdem hatte er keine Lust mehr darauf.

Natürlich konnte er auch einfach so tun, als wäre nichts geschehen und in einem angemessenen Tempo heimwärts fahren. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte sein Verfolger jedoch andere Pläne im Sinn.

Er sah nur noch eine einzige Möglichkeit und bremste den Wagen bis auf fünfzehn Meilen die Stunde ab. Die Scheinwerfer des anderen Fahrzeugs kamen immer näher. Plötzlich schoss ihm ein beängstigender Gedanke durch den Kopf. Was, wenn es die Absicht seines Verfolgers gewesen war, ihn in eine menschenleere Gegend zu treiben? Was wenn Roy im Augenblick genau das tat, was der Fahrer des dunklen Wagens gewollt hatte?

Noch immer befanden sich um ihn herum nichts als Bäume. Die nächste Ortschaft hieß Gatesville und lag fast zwei Meilen entfernt. Dort gab es zwar einen Sheriff, aber ob er tatsächlich noch so weit kam, stand auf einem anderen Blatt. Er schluckte hart und begann den Wagen wieder zu beschleunigen. Plötzlich verspürte er nicht mehr das Verlangen, hier darauf zu warten, dass der andere Wagen ihn überholte und endlich in Ruhe ließ. Plötzlich hatte Roy es sehr eilig, die unbewohnte Gegend zu verlassen.

Dank des fahlen Mondlichts konnte Roy endlich einen kurzen Blick auf das Fahrzeug hinter ihm werfen. Das zerstörte eine weitere Hoffnung. Es war tatsächlich derselbe Wagen, der ihn vorhin bereits bedrängt hatte.

Hier, fernab der befahrenen Straße, passte sich das andere Auto genau seiner Umgebung an. Kurz hegte Roy sogar den absurden Gedanken, das Fahrzeug könnte ein Teil der Dunkelheit sein. Noch etwas fiel ihm auf: der Wagen beschleunigte und kam sehr schnell näher. Sein unverkennbares Röhren zerriss die abendliche Stille. Im selben Augenblick schaltete der andere Fahrer sein Fernlicht wieder ein.

Das Spiel geht von vorn los, schoss es ihm durch den Kopf. Doch diesmal hatte Roy unrecht. Das Fahrzeug machte nicht die geringsten Anstalten, seine Geschwindigkeit zu verringern. Roy bekam es mit der Angst zu tun und trat auf das Gaspedal. So, wie sich die Sache gerade entwickelte, gefiel sie ihm ganz und gar nicht.

Die Scheinwerfer kamen viel schneller näher, als Roy seine Geschwindigkeit erhöhen konnte. Der Mond spiegelte sich auf der Motorhaube des Verfolgers. Gleichzeitig drang aus den Tiefen seines Uraltradios wieder Musik. Es war ein Song von Lou Reed, den Roy sehr gut kannte.

Just a perfect day
Drink Sangria in the park
And then later, when it gets dark, we’ll go home

Eisige Schauer jagten ihm über den Rücken. Er wollte schreien. Dies alles konnte nur ein Albtraum sein. Im selben Augenblick wurde seine Familienkutsche von einem dumpfen Aufprall erschüttert. Das Scheppern von Metall auf Metall. Roy wurde nach vorn geschleudert, doch der Sicherheitsgurt riss ihn zurück. Heißer Schweiß lief ihm über die Stirn und sein Fuß drückte das Gaspedal weiter hinab. Jede Bewegung erschien ihm plötzlich langsam und verzerrt. Die Geschwindigkeit seines Wagens. Der vorbeihuschende Mond. Der nächste Aufprall. Alles war wie in Zeitlupe und Roy vernahm den Soundtrack dazu. Plötzlich war in seinem Kopf nichts anderes mehr als Lou Reeds Stimme und sein unheimliches Lied.

Just a perfect day
Problems all left alone
Weekenders on our own
It’s such fun

Der dunkle Wagen rammte ihn abermals und diesmal glitt Roy das Lenkrad aus den Händen. Er wollte danach zu fassen, griff jedoch ins Leere. Irgendetwas lähmte ihn und presste ihn zurück in den Sitz. Das Steuer schien auf einmal meilenweit entfernt zu sein. Die Vorderseite seines Autos steuerte auf einen Baum zu. Trotzdem war er unfähig, etwas dagegen zu tun. Der Baum schien ihn fast magisch anzuziehen.

Just a perfect day
You make me forget myself
I thought I was someone else
Someone good

Die Stimme des Sängers schien ihn zu paralysieren, doch er kämpfte dagegen an. Verzweifelt streckte er die Hände nach dem Lenkrad aus. Diesmal bekam er es zu fassen und riss es nach links. Er hörte die Reifen quietschen und wusste, dass ihnen das nicht gut tat. Für einen kurzen Moment dachte er nicht mehr an den dunklen Wagen oder an Lou Reeds Stimme. Für einen winzigen Augenblick hatte er seine Familienkutsche wieder vollständig unter Kontrolle.

Seinen Fuß stand noch immer auf dem Gaspedal. Erschrocken zog er ihn zurück. Im selben Moment rammte ihn der dunkle Wagen ein letztes Mal und Roy trat unbeabsichtigt wieder auf das Pedal. Der Motor heulte auf und das Auto machte einen Satz nach vorn.

Nun verlor er endgültig die Kontrolle. Roy trat auf die Bremse, doch es war zu spät, um noch etwas zu ändern. Das Auto schlitterte nach rechts und plötzlich sah der Familienvater den Baumstamm direkt vor sich. Ein lauter Knall ertönte und der Familienvater prallte mit dem Kopf gegen das Lenkrad.

Dann wurde er wieder zurückgerissen und versank langsam in einem Meer unglaublicher Schmerzen. Ein letztes Mal schaute Roy in seinen Außenspiegel und sah wie der dunkle Wagen zum Überholen ansetzte. Nach wie vor wusste er nicht, wer der Fahrer des Autos war oder warum er dies alles getan hatte. Aber das war jetzt auch nicht mehr wichtig. Der Motor des fremden Autos röhrte an ihm vorbei und verschmolz mit der Dunkelheit. Das Letzte, was er sah, waren die roten Rücklichter. Roy hatte das Gefühl, dass sie ihn schadenfroh angrinsten. Dann überkam ihn eine Welle grässlicher Schmerzen und er verlor das Bewusstsein.